Minima Energetica - Energie speichern

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4. Kann elektrische Energie gespeichert werden?

Diese Eigenschaft von Gasturbinen führt uns zur fundamentalen Eigenschaft der elektrischen Energie, die darin besteht, dass sie nicht oder nur sehr schlecht gespeichert werden kann. Man kann sich zwar einen Sack Kohle, einen Kanister Heizöl oder einen Stoß Holz auf Lager legen, nicht jedoch eine gewisse Menge an Kilowattstunden, und wäre diese Menge noch so klein. Die einzige Ausnahme von dieser Regel sind Batterien oder Akkumulatoren, welche die Speicherung von elektrischer Energie erlauben, freilich unter Inkaufnahme einiger damit verbundener Nachteile. Zunächst sind das ökonomische Nachteile, denn die Speicherung von elektrischer Energie in großem Stil mit Hilfe von Batterien wäre mit exorbitanten Kosten verbunden. Nicht zu vergessen sind die ökologischen Nachteile. Verbrauchte Batterien sind Sondermüll. Jeder von uns, der Batterien nicht in die Mülltonne wirft, sondern sie getrennt entsorgt, trägt dieser Tatsache Rechnung.

Aus dem Umstand, dass elektrische Energie nicht gespeichert werden kann, folgt für den Betrieb eines elektrischen Netzes die fundamentale Regel, dass in jedem Augenblick genau so viel an elektrischer Energie erzeugt werden muss, als von ihr verbraucht wird. Abweichungen davon gefährden die Stabilität des Netzes und sind tolerabel nur dann, wenn sie klein und kurz sind. Veranschaulichen kann man sich das mit einer Schaukel in Form eines Waagebalkens. Dieser Balken ist im Gleichgewicht, wenn an seinen Enden zwei gleich schwere Menschen sitzen, wobei wir voraussetzen wollen, dass diese Enden gleich lang sind. Wird dieses Gleichgewicht gestört, beginnt das schwerere Ende des Waagebalkens zu sinken, das leichtere aber zu steigen. Die Bewegung des Waagebalkens wird naturgemäß um so schneller vor sich gehen, je größer die Gewichtsdifferenz ist. Wird das Gleichgewicht nicht rasch wieder hergestellt, wird das schwerere Ende des Balkens schließlich den Boden erreichen. Wenn in einem elektrischen Netz die Wiederherstellung des Gleichgewichtes zwischen Erzeugung und Verbrauch misslingt, bedeutet das nichts anderes als den gefürchteten Blackout, der heutzutage wie ein Damoklesschwert über uns hängt und den es unter allen Umständen zu verhindern gilt.

Der Verbrauch an elektrischer Energie unterliegt starken täglichen und saisonalen Schwankungen. Wir verbrauchen im Winter mehr Strom als im Sommer, bei Tag und in den frühen Abendstunden mehr als in den Stunden nach Mitternacht. Dazu kommen noch die durch unseren Lebensrhythmus bedingten sogenannten Lastspitzen. Solche Spitzen gibt es in der Früh, wenn das wache Leben beginnt, zu Mittag, wenn überall gekocht wird, oder am Abend, wenn es dunkel ist und überall das Licht eingeschaltet wird. Doch wie sehr der Verbrauch von Strom auch schwankt, die Stromerzeuger konnten ― bis jetzt wenigstens ― die Erzeugung immer an den Verbrauch anpassen. Eine Herkulesaufgabe, die insofern erleichtert wird, als die täglichen und saisonalen Schwankungen vorhersehbar sind, weil sie ein ziemlich regelmäßiges Muster aufweisen. Ein Tag im Dezember eines bestimmten Jahres zum Beispiel unterscheidet sich nicht wesentlich von den Dezembertagen der Jahre zuvor.

Wir sind verwöhnte Zivilisationsmenschen. Für uns kommt der Strom, den wir benötigen, aus der Steckdose und hat wie ein willfähriger Sklave da zu sein, wann immer wir ihn benötigen. Gedanken darüber, wie dieses Wunder ― ja, es ist tatsächlich ein Wunder ― bewerkstelligt wird, machen wir uns nicht. Aber nicht nur private Stromkunden verhalten sich so, sondern auch die industriellen oder gewerblichen Großverbraucher von elektrischer Energie. Der Fahrer einer U-Bahn oder Straßenbahn zum Beispiel hat am Morgen, wenn er sein Tagwerk beginnt und sein Gefährt in Bewegung setzt, nicht die geringsten Zweifel, dass die dazu erforderliche elek-trische Energie vorhanden sein wird.

Wir sind also verwöhnt und müssen nie oder nur äußerst selten die Erfahrung machen, dass der Strom nicht da ist, wenn wir ihn brauchen. Das ist beinahe ausschließlich dann der Fall, wenn es im Netz eine Störung gibt. Die Bewohner eines Dritte-Welt-Landes hingegen sind in dieser Hinsicht nicht so verwöhnt. Für sie sind Stromausfälle etwas Alltägliches, erstens weil ihre Netze störungsanfälliger sind als die unseren, zweitens aber, weil oft nicht genug Energie produziert werden kann und deshalb immer wieder Verbraucher abgeschaltet werden müssen, weil die erzeugte Energie nicht reicht, um alle zu versorgen.

Wir sind, um es ein drittes Mal zu sagen, also verwöhnt, doch diese Verwöhntheit könnte angesichts der dunklen Wolken, die auf dem Energiemarkt aufgezogen sind, bald zu Ende sein. Dann wird nicht mehr der Strom produziert, der gerade gebraucht wird, sondern wir werden nur mehr den Strom verbrauchen dürfen, der gerade produziert wird. Dann werden nicht wir, die Verbraucher, den Takt angeben, die Stromerzeuger aber die Menge des erzeugten Stromes an unseren Bedarf anpassen, sondern es wird umgekehrt sein: Wir werden unseren Bedarf anpassen, und zwar an die Menge an Strom, welche die Stromerzeuger zu erzeugen im Stande sind. Ist das Gleichgewicht gestört, beginnt also das Schaukel-ende, an dem die Verbraucher sitzen, zu Boden zu sinken, weil zu viele an diesem Ende Platz genommen haben, wird also nicht mehr wie bisher die Produktion rasch erhöht werden, sondern der eine oder andere Verbraucher wird die Schaukel für einige Zeit verlassen müssen. Das kann eine Fabrik sein, das kann ein ganzer Stadtteil sein, vor allem aber werden es auch die Ladestationen für die Batterien der E-Autos sein.