Anders Günther: Die Antiquiertheit des Menschen - Medienkritik

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Die Produktion der Phantome

Günther Anders flüchtete 1933 aus Deutschland nach Paris und  lebte ab 1936 in den USA, bis er 1950 nach Wien übersiedelte. Er hat in den USA die Entwicklung des Fernsehens hautnah miterlebt. 1951 gab es (laut wikipedia) in den USA bereits 10 Millionen, ein Jahr später 15 Millionen Fernsehteilnehmer, während diese Entwicklung in Deutschland (BRD) gerade mal startete und Ende 1952 insgesamt nur 300 Fernsehteilnehmer zu verzeichnen hatte. Es dauerte fünf Jahre, bis eine Million Fernsehgeräte in den Haushalten der BRD standen. (Quelle wikipedia)

Schon in der Einleitung der "Antiquiertheit" kritisiert Anders den "post-literarischen Analphabetismus", die "globale Bilderflut", die über Illustrierte, Filme und Fernsehen "zum Angaffen von Weltbildern, also zur scheinbaren Teilnahme an der Ganzen Welt einladen". (15) Im zweiten Kapitel des 1. Teils, "philosophische Betrachtungen über Rundfunk und Fernsehen", geht Anders in die Tiefe. Der Titel dieses Kapitels bringt seine Überlegungen auf den Punkt: "Die Welt als Phantom und Matrize". Anders hat sich mit diesem Essay als erster "Medientheoretiker" positioniert. In insgesamt 28 Paragrafen begründet er seine "These, daß Bildsein heute als 'seiender' gelte als Sein". (204) Hier einige der Paragrafen bzw Thesen von Anders:

§ 4 Da die TV-Geräte uns das Sprechen abnehmen, verwandeln sie uns in Unmündige und Hörige.

§ 12 Bild und Abgebildetes im TV sind synchron. Synchronie ist die Verkümmerungsform der Gegenwart.

§ 14 Alles Wirkliche wird phantomhaft, alles Fiktive wirklich.

§ 18 Sendungen löschen den Unterschied zwischen Sache und Nachricht aus. Sie sind verbrämte Urteile.

§ 21 Die Prägung der Bedürfnisse. Angebote - die Gebote von heute.

§ 24 Die Phantome sind nicht nur Matrizen der Welterfahrung, sondern der Welt selbst.

"Die Absicht der Bildlieferung, ja der Lieferung des ganzen Weltbildes, besteht eben [...] darin, das Wirkliche abzudecken, und zwar mit Hilfe des angeblichen Wirklichen selbst; also die Welt unter ihrem Bilde zu Verschwinden zu bringen." (154)

"Das eigentümlich Zweideutige an Rundfunk- und Bildfunksendungen besteht darin, daß sie den Empfänger von vornherein und prinzipiell in einen Zustand versetzen, in dem der Unterschied zwischen Erleben und Benachrichtigtsein, zwischen Unmittelbarkeit und Vermittlung ausgelöscht ist; in dem es unklar ist, ob er vor einer Sache stehe oder vor einer Tatsache, vor einem Gegenstand oder vor einem Faktum." (159)

"Was uns von der Nachricht gilt: daß sie uns unfrei mache, weil sie uns das Abwesende nur in seiner vorgegebenen, präparierten, prädizierten Fertigwaren-Version zeigt oder gar nicht, das gilt um so mehr von der Sendung: Des eigenen Urteils sind wir enthoben; und um so gründlicher, als wir uns nicht dagegen wehren können, das gelieferte Urteil als die Wirklichkeit selbst entgegenzunehmen." (163)

"Nicht im Zeitalter des Surrealismus leben wir, sondern in dem des Pseudo-Realismus; im Zeitalter der Verbrämungen, das sich als Zeitalter der Enthüllungen verbrämt. Wo man lügt - und wo täte man das nicht? - lügt man nicht mehr wie gedruckt, sondern wie photographiert, nein, nicht wie photographiert, sondern effektiv photographiert." (166)

"Je unbemerkter der Prägungsdruck sich vollzieht, desto gesicherter sein Erfolg. Am günstigsten wird es daher sein, wenn die prägende Matrize als gewünschte Matrize empfunden wird. Soll dieses Ziel erreicht werden, dann ist es also nötig, zuvor die Wünsche selbst zu prägen. Zu den Standardisierungs-, ja zu den Produktionsaufgaben von heute gehört demnach nicht nur die Standardisierung der Produkte, sondern auch die der Bedürfnisse. [...] Die Maxime .. lautet: 'Lerne dasjenige zu bedürfen, was dir angeboten wird! Denn die Angebote sind die Gebote von heute.'" (171)

"Die Tatsache, daß nicht nur unsere Erfahrungen modelliert werden, sondern sogar unsere Bedürfnisse, stellt die Maximalleistung der Matrize dar." (178)