Kreisky Bruno: Zwischen den Zeiten - Also sprach Bruno Kreisky

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Im 1. Teil seiner Memoiren, "Zwischen den Zeiten (18. Kapitel, Der Staatsvertrag)", erinnert Bruno Kreisky an die Außenministerkonferenz 1954 in Berlin: "Auf der Tagesordnung der Viermächtekonferenz standen damals die deutsche und die österreichische Frage. Wir kamen relativ gut präpariert nach Berlin und hatten vor, die Neutralität Österreichs anzubieten. Bereits ein halbes Jahr zuvor hatten wir den Russen für den Fall des Abschlusses eines Staatsvertrages die Neutralität in Aussicht gestellt; auf dem Bürgenstock war unser damaliger Außenminister Karl Gruber mit Pandit Nehru zusammengekommen. Raab hatte Gruber ausdrücklich ermächtigt, den indischen Premier um eine Vermittlung in Moskau zu bitten. Der indische Botschafter Menon berichtete wenig später, Molotow habe erklärt, das genüge nicht." (458f)

"Die Sowjetunion sei bereit, den vorliegenden Entwürfen zum Abschluß des Staatsvertrags ihre Zustimmung zu geben unter der Bedingung, daß wir uns bereit fänden, eine symbolische militärische Präsenz der Sowjetunion in Österreich zu akzeptieren. Es wurde eine Zahl von 5.000 Mann genannt während damals schätzungsweise an die 46.000 sowjetische Soldaten in Österreich standen. Die sowjetische Militärpräsenz sollte nur bis zum Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland gelten. (461)

"Wir waren uns vollkommen im klaren darüber, daß wir Molotows Vorschlag nicht annehmen konnten, weil der Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland ein Dies incertus war. Wir wollten unser Schicksal, wie die Dinge damals lagen, nicht eng an das deutsche binden. [...] Wenn die Russen dablieben, fügte ich hinzu, hätten auch die anderen drei Besatzungsmächte das Recht, in ihrer Zone militärische Einheiten zu unterhalten". (462)

Auf deutscher Seite [...] setzte der Leiter der deutschen Delegation, Herr Blankenhorn, alles daran, einen österreichischen Staatsvertrag zu verhindern. Adenauer fürchtete, daß dies ein fatales Beispiel für Deutschland abgeben könnte." (461)

"Natürlich gab es auch Schwierigkeiten mit den Westmächten. [...] Gemeinsam machten sie den Versuch, uns zu überzeugen, daß wir auf die Neutralitätsformel verzichten sollten. Ununterbrochen redete man auf uns ein, aber wir waren nur zu einer einzigen Konzession bereit gewesen: daß wir das Angebot der Neutralität offiziell erst bei einer späteren Verhandlungsrunde unterbreiten würden." (462f)

"Unverrichteter Dinge fuhren wir aus Berlin ab, und der österreichische Botschafter in Moskau beurteilte angesichts der deutschen Entwicklung nach dem Westen hin unsere Chancen sehr pessimistisch. Als sich in Moskau die Zeichen mehrten, daß Chruschtschow die Nachfolge Stalins antreten werde, legte der Botschafter aber plötzlich großen Optimismus an den Tag." (S. 463)

In weiterer Folge hatte Österreich drei Fragen zu klären: 1. die Ablöse der von den Sowjets übernommenen Betriebe, 2. die Erdölfrage, und 3. die "bei weitem komplizierteste Frage, wie die Neutralität Österreichs definiert werden sollte." (S 466) Die letzten Vorbehalte Molotows betrafen die Garantien gegen einen möglichen Anschluss an Deutschland. Am Ende einigte man sich bekanntlich auf die Formel, Österreich sei "international dazu verpflichtet, eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird." (471)

"Nach zehn langen Jahren, verschärft durch den Kalten Krieg, ist es aufgrund gemeinsamer Anstrengungen der vier Aliierten zu einem großen Ergebnis gekommen, das internationale Signalwirkung gehabt hat: Österreich, in der Mitte Europas gelegen, hat seine volle Freiheit zurückerlangt." (474)

"Zu Mittag flogen wir nach Hause. Dort wurden wir mit ungeheurem Jubel empfangen. Tausende säumten die Straßen vom Flughafen Bad Vöslau nach Wien. Dieser 15. April 1955 war der größte Tag meines politischen Lebens. Nie wieder, so schien es mir, würde ich ähnliches erleben. Und so ist es bis heute geblieben." (476)

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"Die Parteien stecken also in einer Krise. [...] Es ist ein Teil der Krise der großen Parteien, daß das alte demokratische Prinzip der Gewaltenteilung heute nicht nur nicht beachtet wird, sondern auf manchen Gebieten gar nicht mehr gelten kann. Die Parteien sind zuweilen stärker als die Institutionen, weil sie sowohl in- als auch außerhalb dieser verankert sind, und das erzeugt ihren Einfluß. Wenn sie heute zum Beispiel im Parlament sozialpolitische Materien behandeln, brauchen sie den sozialpolitischen Experten. Dieser berät das Gesetz mit und beeinflußt damit seinen Inhalt entsprechend; er ist darüber hinaus in der Folge aber auch der Exekutor des Gesetzes. Wie wir dieses Problem befriedigend lösen können, darauf vermag ich freilich keine Antwort zu geben." (Der Mensch im Mittelpunkt. Der Memoiren dritter Teil, S 120)

ethos.at kommentiert: Rund 30 Jahre nach Bruno Kreiskys Bekenntnis seines Unvermögens in grundlegenden demokratiepolitischen Fragen über den Tellerrand des Parteipolitikers hinaus schauen zu können, ist das Buch "Baustelle Parlament" erschienen, das die Frage der Reform ganz einfach beantwortet: Österreich braucht eine fundamentale und radikale Erneuerung seiner Verfassung, damit elementare Fragen wie die Gewaltenteilung, die zwar (von Verfassungsexperten) als eines von sechs Prinzipien der bestehenden Verfassung interpretiert wird, aber explizit in der Verfassung als solches nicht ausgeführt wird. Österreich braucht nach einem Verfassungskonvent, bei dem alle Bürger unseres Landes teilnehmen, eine schlanke Verfassung, mit der sich alle Menschen des Landes identifizieren, und die eine Spaltung zwischen Verfassung und Realverfassung im Kern verhindert.

"Wir wissen wenig um die Unfreiheit, die wir haben werden. Aus Angst vor der Unfreiheit von morgen die Unfreiheit von heute nicht zu bekämpfen, scheint mir ähnlich zu sein wie das Beispiel eines Menschen, der aus Angst vor dem Tod Selbstmord begeht. Denn das ist Selbstmord an der Individualität. [...] Der Liberalismus ist ausgezogen, die Freiheit des Menschen zu postulieren. Er ist gescheitert, weil er das primär im wirtschaftlichen Bereich nicht erreichen konnte, und davon leitet sich so vieles Ab. Und der Kommunismus ist ausgezogen, die Freiheit des Menschen durch die Diktatur des Proletariats zu verwirklichen. Er ist gescheitert, weil aus der Diktatur des Proletariats die Diktatur über das Proletariat geworden ist. [...] Nur die Demokratie ist mehr oder weniger ewig, weil sie in sich Werte enthält, die eine Entwicklung erlauben. " (Der Memoiren dritter Teil, S 103 f)

"Der größte Enteigner in der modernen Geschichte ist die kapitalistische Gesellschaftsordnung, in der ununterbrochen enteignet wird. [...] Die Börse lebt geradezu von der Enteignung der einen Gruppe, und die Spekulation besteht in der Enteignung. [...] Ich behaupte nun, für die moderne Sozialdemokratie ist gar nicht ihre Haltung zum Eigentum entscheidend, sondern grundsätzlich ist wichtig, wie Eigentum, das Macht verleiht, kontrolliert, wie es pazifiziert wird. (Der Memoiren dritter Teil, S 104 f)

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"Nun darf man nicht vergessen, daß sich Westeuropa zur Zeit der Staatsvertragsverhandlungen auf ein einziges Problem konzentrierte: auf die künftige Richtung der NATO und die Frage der Einbeziehung der Bundesrepublik. Das scheint mir eine Krankheit des Westens zu sein, daß er sich auf ein Problem versteift und daß ihn dann alles andere nicht interessiert. Daß die Russen damals ihre Bereitschaft bekundeten, sich aus Österreich zurück zuziehen, war ein letzter Versuch auch im Hinblick auf Deutschland. Aber der Westen blieb unbeweglich. Hinzu kam ein weiteres Handikap: Wenn man ein Militärbündnis schließen will, ist das, wie die Entstehung der NATO zeigt, eine politische Sache; bestimmt wird die Diskussionen jedoch weithin von den Militärs. [...] Wie wir wissen, sind das in den bürgerlichen Staaten nicht immer die intelligentesten Leute, und es hängt oft vom Zufall, Stand und Aussehen ab, ob einer in die Armee geht. Auf einen einfachen Nenner gebracht, war die Haltung eines großen Teils der NATO-Generalität die, man dürfe die österreichische Brücke zwischen Italien und Deutschland nicht aufgeben. [...] Wenn man den Staatsvertrag streng und ehrlich beurteilt lief er auf die Preisgabe der militärischen Interessen des Westens hinaus. Inwieweit das die Russen bestärkt hat, weiß ich nicht." (Im Strom der Politik, S 107)

ethos.at kommentiert: Spätestens seit dem Ende des Warschauer Paktes 1990 ist die NATO eine antiquierte Einrichtung, die keine Existenzberechtigung mehr hat.