Der letzte GenSek: Michael Gorbatschow verstorben

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31. August 2022 - Der Titel dieses Artikels ist der legendären Tageszeitung "Izwestija" entliehen. Die NZZ bringt in drei Sätzen seinen Aufstieg und Fall auf den Punkt: "Michail Gorbatschow, der grosse russische Mahner gegen den Totalitarismus, ist für immer verstummt. Er wollte die Sowjetunion erneuern, doch seine Reformen führten erst recht zu deren Zerfall. Im Ausland wurde Michail Gorbatschow deswegen gefeiert, in seiner Heimat angefeindet."

Gorbatschow

Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei war in der Sowjetunion der eigentliche Machthaber, Gorbatschow hatte diese Funktion von 1985 bis 1991 inne, ab 1988 war er auch Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets, also auch Staatsoberhaupt.

1987 ist Gorbatschow für einige Wochen von der Bildfläche verschwunden, was natürlich umgehend Kremlastrologen zu allen möglichen Gerüchten inspirierte. Wie sich heraus stellte, hat er in einer Klausur für den amerikanische Verlag Harper and Row ein Buch geschrieben, das noch im gleichen Jahr auf Deutsch bei Drömer Knaur erschienen ist. Der Titel: "Perestroika". Gleich zwei Untertitel präzisieren den Inhalt: "Die zweite russische Revolution. Eine neue Politik für Europa und die Welt."

Die Perestroika als "Revolution von oben" war eine Initiative der KP, die KP ist reformierbar - dies waren die grundlegenden Fehleinschätzungen des letzten GenSek. An Perestroika und Glasnost haben die Bürger der Sowjetunion fünf Jahre lang geglaubt, bis sie erleben mussten, dass in den "Bruderländern" die Mauern fallen, während die Sowjets weiter nur lange Reden halten und nichts tun. Der Umbau wurde in rhetorischen Endlosschleifen beschworen, aber nie in Angriff genommen.

Ein kurzer Auszug aus dem Buch, der symptomatisch für die Geisteshaltung und Einstellungen von Gorbatschow ist, sowie in Inhalt und Form typisch für seine Reden, kann erklären, warum Gorbatschow Ende November 1989 über Nacht die Unterstützung und Anerkennung bei den Bürgern der Sowjetunion verloren hat.

"Es sieht ganz so aus, als sei die angelaufene Perestroika eine 'Revolution von oben'. Und es stimmt durchaus, daß sie auf Initiative der Kommunistischen Partei hin ausging, so wie es auch die Parei ist, die sie leitet. Die Partei ist stark und mutig genug, um eine neue Politik in Angriff zu nehmen. Sie hat bewiesen, daß sie in der Lage ist, den Prozeß der Erneuerung in Gang zu setzen. [...] Die Arbeit der Umgestaltung begann also in der Tat bei der Partei und ihrer Führung. Sie fing an der Spitze an und ging von dort weiter bis hinunter zur Basis. Trotzdem lässt sich die Auffassung von der 'Revolution von oben' auf unsere Perestroika nicht anwenden, zumindest bedarf sie einiger Einschränkungen. [...] Die Perestroika wäre kein wirklich revolutionäres Unternehmen und sie hätte weder ihr jetziges Ausmaß erreicht, noch hätte sie eine sichere Erfolgschance gehabt, wenn sich die Initiative von 'oben' nicht mit der Bewegung an der Basis verschmolzen hätte; wenn sie nicht die fundamentalen, langfristigen Interessen der Werktätigen zum Ausdruck gebracht hätte; wenn die Massen sie nicht als ihr Programm betrachtetn hätten, als Antwort auf ihre eigenen Gedanken und als Anerkennung ihrer eigenen Forderungen. Kurz, wenn das Volk sie nicht so vehement und wirksam unterstützt hätte.

Zum eigentlichen Wesen der Umgestaltung gehört, daß sie an jedem Arbeitspaltz, in jedem Arbeitskollektiv, im gesamten Führungssystem sowie in den Partei- und Staatsorganen, Politbüro und Regierung eingeschlossen, fortgesetzt werden muß. Die Umgestaltung betrifft alle, vom Kommunisten an der Basis bis zum Sekretär des Zentralkomitees, vom Arbeiter bis zum Minister, vom Mechaniker bis zum...." und so weiter und so fort und ohne Ende.

Der  "kalte Krieg" wurde dank Perestroika beendet. Über den aktuellen "heißen Krieg" zwischen Russland und Ukraine, der auch ein Stellvertreterkrieg zwischen USA und Russland ist, hat sich Gorbatschow noch zu Beginn dieses Jahres geäußert. Daran erinnert "Invalidenturm" auf fischundfleisch.