Also sprach Van der Bellen

„Die Kunst der Freiheit“ ist der Titel der Lebenserinnerungen, die Alexander Van der Bellen diktiert und Bernhard Ecker geschrieben hat. Das Buch wurde 2015 veröffentlicht.

VdB Zdrahal Kraus

Was hätte Karl Kraus wohl dazu gesagt? (Bild: "Karl Kraus" gemalt von Ernst Zdrahal) 

Demnach sagt VdB ein Jahr vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten: „Ein merkwürdiges Phänomen ist die Uniformierung von Meinungen, obwohl es eine lange Tradition der Pressefreiheit gibt. Das Muster: Wenn vier wichtige Journalisten einer Meinung sind, meinen in der Regel auch die anderen, dass es so ungefähr schon stimmen wird. Gegenargumente werden entweder nicht gehört, nicht mehr vorgebracht oder dämonisiert. Am Ende gibt es so etwas wie eine Einheitsmeinung, gegen die anzukämpfen es zusehends schwerer wird. Diese freiwillige Gleichschaltung der Medien betrifft Sachfragen ebenso wie schwierige, komplexe Konstellationen der Weltpolitik.“

Unser Kandidat 2022 hat den Präsidenten gefragt: Wie beurteilen Sie diese Aussage in Hinblick auf die Gleichschaltung der Medien in Folge der Corona-Politik in Österreich und weltweit? Also sprach Van der Bellen: „In der ersten Phase des Lockdowns, unter dem Eindruck der Bilder aus der Lombardei, haben die meisten Medien die Maßnahmen der Regierung unterstützt – wie im übrigen auch die Opposition. Aber es gab auch kritische Stimmen. Nachdem absehbar war, dass Österreich in der Pandemie relativ glimpflich davongekommen war, setzte auch die öffentliche Diskussion, der normale demokratische Diskurs wieder ein, der sich auch in den Medien seither widerspiegelt.“

In seinem Buch sagt Van der Bellen – ein Jahr vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten: „ich bezweifle stark, ob die westlichen Demokratien das Ur-Meter der Demokratie- und Freiheitsentwicklung sein sollten. […] Vorgestanzte Demokratiemodelle kann man nicht eins zu eins in andere Weltregionen übertragen. Ebenso wie es verhältnismäßig liberale Autokratien gibt, gibt es illiberale Demokratien.“

Unser Kandidat 2022 hat den Präsidenten gefragt: Welche der beiden Bezeichnungen „liberale Autokratie“ oder „il-liberale Demokratie“ trifft auf Österreich im Mai 2020 zu? Also sprach Van der Bellen: Österreich ist eine liberale Demokratie. Daran besteht kein Zweifel. Ich habe nicht die Sorge, dass wir in ein autoritäres System abgleiten. In der Situation einer Pandemie haben wir laufend abzuwägen, wie viel wir von einem Grundrecht hergeben, um ein anderes zu schützen. Wir haben laufend die Frage zu stellen, wie viel Freiheit wir bereit sind aufzugeben, um unsere Gesundheit zu schützen.

In "Kunst der Freiheit" sagt Van der Bellen – ein Jahr vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten: „Verschweigen, vernebeln oder gegen die eigene Überzeugung reden kann im politischen Kontext manchmal sogar vernünftig und strategisch zielführend sein.“

Unser Kandidat 2022 hat den Präsidenten gefragt: Haben Sie diese Maxime seit 11. März 2020 bei der Zustimmung zum ersten Lockdown selbst angewendet? Und haben Sie die Anwendung dieser Maxime nach dem Lockdown dem Bundeskanzler oder anderen Regierungsmitgliedern empfohlen? Also sprach Van der Bellen: „Was Sie hier zitieren ist eine Analyse, keine Handlungsanleitung. Und ich denke, angesichts der gesundheitlichen Bedrohung durch die Pandemie, musste niemand gegen seine Überzeugung handeln. Dass vereinzelt Fehler in der Kommunikation passiert sind, ist in der Nachbetrachtung evident. Doch wir wissen heute viel mehr als in damaligen Situation des Handelns. Politik muss aufgrund oft unvollständigen Wissens, unvollständiger Informationen handeln. Sie MUSS handeln, denn auch ein Nicht-Handeln, ein bloßes Zuschauen, ist ein Handeln.

Soweit der Autor Van der Bellen und die Antworten des Präsidenten. Im Vorwort seines Buches betont der Autor, es sei „nicht das Programm eines allfälligen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten“ und sogar am Ende des Buches wollte er sich noch nicht festlegen: „Nun ist die Entscheidung, vor der ich beim Abschluss dieses Buches stehe, kein Heldenplatz-Drama. Aber wichtig genug ist sie: Soll ich für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten kandidieren? Politische Freunde raten mir zu, private Freunde ab. Und ich muss Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, enttäuschen: Eine endgültige Entscheidung wird vermutlich auch beim Erscheinen dieses Buches noch nicht gefallen sein.“

Das ominöse Zitat hat übrigens einen Vorsatz: „Auch wenn ich mich damit nicht beliebt mache: Verschweigen, vernebeln oder gegen die eigene Überzeugung reden kann im politischen Kontext manchmal sogar vernünftig und strategisch zielführend sein.“ Dieser Vorsatz ist Vorsatz, also entgegen der Behauptung des Präsidenten Bekenntnis, nicht Analyse. Dass Van der Bellen so lange getan hat, als ob er gar nicht wirklich ins Amt des Bundespräsidenten wolle, kann deshalb als Wählertäuschung gesehen werden. Zumindest als Täuschung der eigenen Parteimitglieder - denn einer Urabstimmung in seiner Partei hat er sich mit seinem Unabhängigkeits-Trick entzogen.