18. März 2024 - Jeder Besuch des Schloss Belvedere beginnt mit einer schönen Aussicht aus dem Prunksaal, über den Barockgarten auf das AKH in weiter Ferne. Nicht so weit entfernt, links im Blickfeld, steht der Stephansturm. In diesem Festsaal wurde am 15. Mai 1955 der Staatsvertrag unterzeichnet. (Bild 1 und 2)
Eugen von Savoyen, der wohl berühmteste Österreicher mit Migrationshintergrund (er wohnte 1683, nach seiner Ankunft in Wien, mittellos bei seinem Onkel, dem Spanischen Botschafter), erwarb 1694 die Grundstücke für seine späteren Residenzen (Stadtpalais, Vorstadtgarten und Landsitz). Das Schloss (Oberes Belvedere) wurde 1714 bis 1723 von Lucas von Hildebrandt errichtet.
Der durch seine Erfolge als General nicht nur hoch dekorierte, sondern auch hoch bezahlte Feldherr, legte damit ein Fundament, von dem bis heute der Wientourismus lebt; und einige gut bezahlte Museumsdirektorinnen und weniger gut bezahlte Aufseher.
Seit 2017 ist Stella Rollig Generaldirektorin – „General“ soll wohl nicht an den Gründer des Museums erinnern, sondern an die Vollmachten der Direktorin. So geht es auf ihr Konto, dass neben dem Haupteingang im Großen Gesellschaftszimmer 18 weiße Kästen wie eine Bühne, die niemand betreten darf, auf dem Fußboden aufgelegt wurden. Diese waren bereits 2022 als bulgarischer Beitrag auf der Biennale von Venedig zu bewundern. Genauer gesagt: Über diese konnte man sich schon auf der Biennale von Venedig wundern. (Bild 3)
Damit, und nur damit, wurden diese schmucklosen Kästen zu Kunstwerken veredelt. Dazu passend die literarischen Ergüsse der Museumspädagogen: „Für diese Arbeit zeichnete der Künstler mit Buntstift minutiös die übersehenen und nebensächlichen Spuren der Zeit: Staub, Haare, Abdrücke und Flecke (sic!). Ein ganzer Mikrokosmos, der in seiner Einfachheit die Fragen nach Wert, Vergänglichkeit und der Existenz der Dinge berührt.“ Damit noch nicht genug: „Für die verblüffend real wirkenden Zeichnungen bediente sich Michailov meisterhaft der Tradition des Trompe-l’œil“ (Anm: besonders plastische, quasi 3-dimensionale Darstellungen alter Meister).
Dazu passend das Bonmot von Karl Kraus: "Vor jedem Kunstgenuß stehe die Warnung: Das Publikum wird ersucht, die ausgestellten Gegenstände nur anzusehen, nicht zu begreifen."
Michael Michailov, geboren 1978 in Bulgarien, lebt in Wien. Bulgarien ist bekannt für hochkarätige Tradition der Grafik bis in die Gegenwart. Berühmt wird man damit heute nicht mehr, sondern nur dann, wenn man möglichst gut versteckt, dass man Zeichnen kann. Dafür muss man Werke produzieren, in die man jede Assoziation hineinlegen kann; Werke, die den Betrachter nicht mit Inhalten ablenken, die man erlesen, oder mühsam herausholen muss. Intervention, Installation und Internationalismus (i hoch 3) sind die Codes, die das Werk „Dust to Dust“ zum Kunstwerk veredeln und adeln. Der Hochadel der Kunst (Kuratoren und Direktoren von Biennalen und Museen) hat einen neuen Star entdeckt.
Im direkten Vergleich dazu wird das allegorische Deckenbild von Carlo Innocenzo Carlone und die barocke Architekturmalerei von Gaetano Fanti heutzutage oft als antiquiert bezeichnet, bestenfalls noch als Kunsthandwerk anerkannt. Unbefangene Besucher können sich eine eigene Meinung bilden. Die meisten Besucher sind aber nicht unbefangen, sondern gefangen von der Rhetorik der Moderne (Siehe auch: Manfred Stangl, Ästhetik der Ganzheit). Es lohnt sich, Reflexionen darüber anzustellen; vielleicht führen diese zu einer Erleuchtung, oder sie tragen zumindest zur Erhellung bei. (Bild 4)
Wenn goolge als Maßstab zählt, dann ist Gustav Klimts Kuss (Bild 5) heute doppelt so bekannt wie Prinz Eugens Schloss Belvedere. Aus Bekanntheit leiten viele – irrtümlich – Bedeutung ab. Die Bedeutung des „Kusses“ für die Anzahl der Besucher, die das Werk in das www hinaus tragen und somit für eine positive Museumsbilanz sorgen, steht außer Zweifel. Doch Bedeutung als kunsthistorischer Wert ist etwas anderes als der kommerzielle Erfolg!
Über das Werk an sich sagen Marktpreise nichts aus, auch wenn kommerzielle Aspekte die Kunstwelt der Gegenwart dominieren; dazu zählen Weltrekordpreise, Anzahl der Besucher einer Ausstellungen, Branding der Künstler, mit einem Wort: Marketing. Die wahren Aussagen über das Werk finden sich aber immer nur im Werk, nicht im Namen („Brand“) eines Künstlers. So zeigt die Mittelalter-Sammlung des Belvedere beachtliche Werke von Künstlern, die man namentlich nicht kennt. Ihre ursprüngliche Bedeutung erschließt sich wohl nicht mehr für jeden, doch kurz vor Ostern kann wohl jeder die Kreuzigung (Bild 6), das letzte Abendmahl (Bild 7) und die Pieta (Bild 8) erkennen. Was eine Ratte auf dem Teller des letzten Abendmahls bedeutet, darüber kann man nur spekulieren. Man könnte auch darüber spekulieren, ob es Bilder wie diese waren, die Franz Xaver Messerschmidt zu seinen Grimassen-Köpfen inspiriert haben (Bild 9)
Abschließende Reflexionen im goldenen Spiegelkabinett (Bild 10), einem Gesamtkunstwerk im Gesamtkunstwerk, führen auf die Spur der Fackel (Bild 11). Ob dieses Detail Karl Kraus, der in seiner Zeitschrift „Fackel“ Jahrzehnte lang gegen die Dummheit angeschrieben hat, bekannt war? Angesichts von tausenden Kunstwerken im Belvedere wohl eine Zufalls-Entdeckung. Wobei der schöne Satz gilt: zufällig ist alles, was fällig ist.
P.S. Im übrigen bin ich der Meinung, dass die grafischen Spuren auf Pizzatellern, die vom kollektiven Hunger der Menschheit erzählen, ebenso wie vom individuellen Kampf tausender Besucher der Pizzeria Mafiosi, als Gesamtkunstwerk eher einen Platz in der Ausstellung des Schlosses Belvedere verdient hätten, als die lächerliche Kritzeleien von Michael Michailov. Immerhin ist der Erfinder der Eat Art, Daniel Spoerri, mit einem Werk im Belvedere vertreten. Wahre Grafikkunstwerke dieses Jahrhunderts, die man in elitären Museen vergeblich sucht, findet man u.a. auf der Webseite ino.net.
Die graphische Sammlung von Prinz Eugen "bestand aus 290 prachtvollen Bänden mit Kupferstichen und 250 Kassetten mit Porträts, die Prinz Eugen 1717 für 80 Millionen Francs von der Pariser Verlegerdynastie Mariette erwarb, die sie seit Mitte des 17. Jahrhunderts zusammengetragen und nach Künstlern geordnet hatte. Zu Lebzeiten des Prinzen waren diese Bände Teil der Bibliotheca Eugeniana. Das Kupferstichkabinett der Albertina geht auf den Erwerb dieser Sammlung durch Karl VI. im Jahr 1738 zurück." (wikipedia.org)