Peter Rosegger: der Dichter der Naturschönheit und des Mitgefühls

Von Manfred Stangl

Wie gern verachtet man noch immer Peter Rosegger (1843-1918). Wie hurtig wird ihm das Mäntelchen des Naturpoeten ohne Tiefgang umgeworfen, oder er gar zum verdächtigen Blut und Boden- jedenfalls Heimatdichter herabgewürdigt. Und das ohne dem Begriff Heimat nur ansatzweise neutral gegenübertreten zu wollen. Meist kennen die Rosegger-Verhöhner kein einziges seiner Bücher. Vom Überblick seiner Werke ganz zu schweigen. Was dann nämlich an Weltfreundschaft, an Natur- und Tierliebe und an Menschenglaube zum Vorschein käme würde all die heutigen Propheten des Negativen (die Modernedichter) durch Charme und Wohlklang foltern. Den potenziellen Rosegger-Lesern aber erschlösse sich eine stimmungsvolle Welt, in der Sinn und Schönheit zugegen sind. Und alles trotz der unmittelbaren Nähe zu gesellschaftskritischen Aussagen über menschliche Not und karger bäuerlicher Realität. Dem verkitschten Rosegger Bild – dessen Rahmen wohl die Nazis vorgeätzt hatten – würde schnell eine Not-Aufnahme in die Ahnengalerie des Weltschriftstellertums folgen. Und Leser und Autorenschaft könnten sich an diesen Romanen erfreuen und sich an ihnen seelisch bereichern.

Peter Rosegger 800

In Weltgift etwa wird Roseggers sozialkritische Seite deutlich sichtbar. Ein von wohl narzisstischem Hass und Depression angekränkelter Unternehmersohn will nicht mehr in der Firma des Vaters arbeiten… er verschmäht die Konventionen, das falsche, diplomatische Getue seines Vaters mit den Kunden… Hadrian möchte etwas erleben, sehnt sich nach intensivem Lebensgefühl. Und er möchte Bedeutendes leisten. Die Gelegenheit bietet sich, als der Vater nach einem bissigen Streit ihn enterbt, Hadrian aber mit dem Pflichtanteil sich leicht das heruntergekommene Schloss Finkenstein kaufen kann, wo er im großen und modernen Stile Landwirtschaft zu betreiben beabsichtigt.

Nach dem schmählichen Scheitern des agrikulturellen Abenteuers kauft er ein kümmerliches Gebäude abseits des Lindwurmhofs. Der Lindwurmbauer benötigt Geld, zwei seiner Söhne schickte er in die Stadt zum Studieren. Der eine Philosoph, der andere Arzt – beide ohne „passende“ Posten – tauchen in kurzem Abstand wieder am heruntergekommenen elterlichen Hof auf; dramatische Diskussionen stören den Frieden der Abgeschiedenheit.

„Barmherzigkeit“, rief der erregte Doktor (der Philosophie) und schlug die Hände zusammen. Barmherzigkeit sei ein Krebsschaden. Sie päppele die Kranken und Krüppel auf, wodurch das Menschengeschlecht immer mehr herabkomme. Die Geduld sei ein Unding, weil sie der Unzulänglichkeit Vorschub leiste. Alle sogenannten Wohltätigkeitsorganisationen seien von Übel, weil sie den Menschen beugen nach etwas das nicht der Mühe wert ist. Das sogenannte allgemeine Menschenrecht sei eine Torheit, weil nur der ein Recht habe, der etwas leistet. Der Starke sei im Recht, und der allein, und sein Recht und seine Pflicht sei, die Schwachen auszurotten und sich nur mit Starken zu verbinden. So sei es, und er hätte da was gesagt, das jeder Gebildete längst wisse. – Bei dieser Preisrede auf die Kraft hatte er sich in so eine nervöse Aufregung hineingeredet, dass seine Hände zitterten. Wie ein Gifthauch schauerte es durch den ganzen jungen Menschen.

Weitere Streitgespräche folgen. Der Religionsfeind Nietzsche und der große Versöhner Tolstoi stehen in ihren Ideen auf dem Bauernhof einander schroff gegenüber. Rosegger fasst die menschenverachtende Ideologie Nietzsches, der auch heute von Linken wie Rechten geschätzt wird, erschreckend klar zusammen. Was auf Nietzsches Größenphantasien folgte, darf als bekannt, wenn auch nicht aufgearbeitet, vorausgesetzt werden. Doch es ist Rosegger, der als Naivling verspottet wird, als Waldbauernbub und Romantiker – gar als reaktionärer Ideologe. Dabei lugen in seinen Büchern stets fruchtbare Erde und das Grün des Lebens aus den Schutthaufen und dem Grau der Städte, die gerade zu seiner Zeit das Land und die Bauern gierig verschlingen. Die Industrie frisst die Bauernhöfe, die Wälder, verdaut die Knechte und spuckt Proletariat und Heimatlose aus. Und naiv ist Rosegger nie: Er bekennt sich allerdings selbst in den schlimmsten Zeiten zu einer Literatur, die erbaut, die nicht Mistkübel des Schriftstellers ist, der dem Leser hochtrabend übergestülpt wird, sondern zu Wachstum und moralischer Anleitung der Leute dient. Die Schichten aus Staub, Ziegeln und Asphalt, die dazumal schon die Seelen der Menschen erstickten, klopft er ab, lässt sie im frischen Wind in den Hochtälern erschauern, in der Sonne über den Smognebeln leuchten. In „Erdsegen“, wo ein Journalist aufgrund einer Wette die Schreibstube mit der Einschicht tauscht, unterweist er den Leser in ehrliche bäuerliche Arbeit, berichtet von Anstrengung, Mut, Zuversicht, Aufrichtigkeit, Anstand und Liebe. Und das in derart liebevoll humorvollem Ton – der aber edler Würde und Schönheit weicht, wo Witz nur der Distanz zum Leben diente –, dass der moderne Leser nur so ins Staunen und Schwärmen gerät (wenn er denn dazu überhaupt noch fähig ist). Dergestalt liebevolle Beschreibung der Protagonisten, deren Schwächen und gar Eitelkeiten, ohne diese jedoch zum notwendig narzisstischen Wesen der Handelnden zu erklären, erscheint mir einmalig.

Selbst wo die Protagonisten schwerlich liebevoll zu schildern sind, wie in „Weltgift“, gibt Rosegger nicht billig-eitler Verachtung derselben nach. Wenn auch so etwas wie Hoffnungslosigkeit und Bitterkeit mit dem entwurzelten Stadtmenschen durchscheint, was in der Bemerkung gipfelt, „dass ein Mensch, dessen Seele von Weltgift zerfressen ist, nicht in die ländliche Natur zurückkehren kann und soll.

Bemerkenswert auch eine Stelle in „Das ewige Licht“, in der der Protagonist über den vermeintlichen Wohlstand eines durch einen Großindustriellen aufgekauften Ortes Torwald spricht, wo ein Armenhaus errichtet werden soll, für die auf den Straßen Lungernden – mit hübschen Giebelchen und Erkern, auf dass Armut sich nett ansehen lasse.

Im vielgescholtenen Buch „Waldheimat“ findet der offenherzige Leser keine verkitschte Sicht auf Natur und Landleben, wie sie Rosegger gern angedichtet wird. Der Tod ist steter Begleiter der ärmlichen aber doch meist zufriedenen Landbevölkerung. Was Rosegger vollbringt, ist, den Bauern und andern Landbewohnern, die heute eher aus dem Heimatmuseum bekannt sind – Pecher, Ameiser, Kohlenbrenner, Kräuterer – eine Stimme zu verleihen, Identität und Persönlichkeit. Die Menschen aus den abgelegenen Provinzen holt er somit ins Blickfeld, ins Bewusstsein der Stadtmenschen: eine vornehme Aufgabe, würde ich meinen. Dass später andere Schriftsteller, Franz Innerhofer beispielweise, eine weitere Schicht der Landbevölkerung literarisch erschließen, nämlich die Knechte und Mägde, deren Leben sich sicherlich extrem mühevoll gestaltete, (was aber ist zu den Knechten oder verarmten Bauern zu sagen, die jeweils zu Dutzenden in Kellerlöchern in der Stadt hausten, wo sie als Industrieproletariat bis aufs Blut ausgebeutet wurden – was Rosegger in Weltgift ja ebenfalls thematisiert) stellt die logische Fortsetzung in der Literaturgeschichte dar: Keine der Sichtweisen ist die richtigere.

Allerdings haben bei Innerhofer Depression, Trübsinn, Kälte und Distanz die Oberhand gewonnen – vielleicht zurecht – aber die modernistische Sicht der Dinge ist aus ganzheitlicher Haltung zumindest hinterfragbar. Was Rosegger vermag, gelingt modernen Dichtern nimmermehr. Das sage ich voller Überzeugung eingedenk einer Stelle aus „Erdsegen“, in der er die allgewaltige Natur dem Protagonisten das Numinose unendlich mal eindringlicher predigen und vor allem begreifen lässt, als jemals von einer Kanzel gehört.

„Jakob der Letzte“ ist wohl die bitterste Abrechnung mit dem Ausverkauf des Bauernstandes. Zu Roseggers Zeiten grassierte ein seuchenartiges Bauernsterben – in der Steiermark (inklusive Untersteiermark) sind zwischen 1860 und 1890 etwa 50.000 Bauernhöfe aufgegeben worden, in Roseggers engerer Heimat betraf dies etwa ein Drittel aller Höfe. Durch den Freihandel und die dadurch gestiegenen Importe verfielen die Agrarpreise. Die dramatischen Folgen bildeten die Basis für Industrialisierung und Proletarisierung, was er speziell in jenem 1887 erschienen Roman darlegte. Bei diesem aus dem eigenen Herzblut geronnenen Thema fehlt selbst einem Peter Rosegger die Kraft für die Aussöhnung. Ein Bauernhof nach dem andern wird aufgekauft, Legenden bilden sich um den Reichtum, der so rasch erworben ist und leicht wie Papierscheine gegen die Mühe und oftmals Plage des harten Bauernlebens eintauschbar scheint. Doch die Realität erwies sich als eine grausame. Das Geld war in der teuren Stadt rasch aufgezehrt, die Bauerntöchter gingen in den „Herrendienst“. Mühten sich von aller früh bis in die Nacht ab, und aßen, was vom Herrentisch übrigblieb. Die Knechte schufteten in Walzwerken und anderen Fabriken, hofften auf die Befreiung durch den Sieg übers Kapital, denn der Lohn war zu schmal, um bloß ein wenig durchzuatmen. Der Wirt, der sein Gasthaus ebenfalls verkauft hatte, um in der Stadt eine kleine Schenke zu eröffnen, stellte bald fest, dass den Stadtleuten das Ausgeschenkte nicht mundete – und ging Straßenkehren. Ein Leben ohne eigenen Grund und Boden, ohne den Hof, der den Kindern Heimat bot, Arbeit, die im Dienste Reicher verrichtet wurde – das kränkte die Landbevölkerung zutiefst und etliche gingen nicht nur seelisch, sondern auch körperlich zugrunde. „Derlei und anderlei war von den Ausgewanderten zu erfahren. Der Jakob wollte nichts davon hören. In Altenmoos, wie war das anders gewesen, wie könnte es noch so sein! Kein Herr und kein Sklave, keiner reich und keiner arm, war Altenmooser Art. Nun, sie sollen liegen, wie sie sich gebettet hatten. Selbst getan, selber gelitten. Wem nicht zu raten, dem ist auch nicht zu helfen! Ach, was nutzen die guten Sprichwörter! Das Weltgift haben sie getrunken. Dem Jakob blutete das Herz.“

Erstaunlich Aktuelles liest sich in diesen Romanen. Wer kennt nicht das Dilemma, dass auf auspendelnde und arbeitsemigrierte Landbevölkerung das Sperren des Wirtshauses folgt. Dass Kommunikation durch geschlossene Postämter und ausdünnenden öffentlichen Verkehr weiter zerstört wird (bei allen Lippenbekenntnissen der wahlkämpfenden Politiker, die ja nun allesamt den Klimawandel zu stoppen auf ihre Wetterfahnen „branden“ und klimaschonende Alternativen auf Schiene zu bringen versprechen). Trotz aller Beteuerungen, den ländlichen Raum zu stärken, geschieht genau das Gegenteil. Und da wundern sich Regierungen und Sozialpolitiker über die Hoffnungslosigkeit und den Zorn der Dörfler, der sich wohl auch wahltechnisch niederschlägt.

„Die Schriften des Waldschulmeisters“, Roseggers erster Roman, wuchert voll schwellender Naturbeschreibungen. Erdmann, ein vielgereister Lehrer, flieht vor Stadtekel und Schicksalsschlägen in die Einsamkeit eines Bergbauerndorfes. Von dort treibt ihn seine Sehnsucht immer wieder und steiler in die Berge, „ins Licht.“ Die Naturbeschreibungen Roseggers erreichen mystische Tiefen. Die verpestete Stadtluft wird der reinen Luft der Bergwälder entgegengestellt. Liest man heute das Buch „Der Biophilia Effekt“ von Clemens G. Arvay (2o15!) erahnt man, dass sich sehr wenig an der Dringlichkeit und Bedeutung Roseggers Geschichte geändert hat. Man erkennt den Einfluss Adalbert Stifters auf den „Waldpoeten“. Doch die saftige Lebendigkeit seiner prallen Naturbeschreibungen, vor allem eben im „Waldschulmeister“, wirkt wie ein archaischer Berg-Urwald gegen Alleen am Stadtrand und eine bunte Blütenwiese Stifters.

Die konkrete Sehnsucht des Waldschulmeisters erfüllt sich wohl nicht, aber in der Schönheit der Sprache Roseggers ist ein Pfad durch die kahlen Gebirge der Hochhäuser und Aktienkurse gehauen. Die lebendige Fülle, die wie ein gesunder Trunk aus seinen Sätzen quillt, die Quelle sind und Fluss immerfort bereit in einen Ozean der Stille und Schönheit zu strömen, sind ein heilendes Geschenk an uns unvoreingenommene Leser.

„Die irdische Wahrheit ist ernst genug, aber sie verträgt es recht gut, vom Sonnenschein der Poesie beleuchtet zu werden, ohne dass sie unwahr wird. Die Welt ist reich an Niedertracht, und sie ist reich an Größe und Schönheit. Nur darauf kommt es an, was wir Poeten liegen lassen oder auflesen“, heißt es im Vorwort des Erzählbands „Sonnenschein“ im Sommer 19o1, als Einführung in Roseggers ästhetisches Credo.

Rosegger schrieb unglaublich viel. Zum Teil beruht die Anzahl seiner Romane und Novellen auf den Umstand, den „Heimgarten“ herausgegeben zu haben. Eine Literaturzeitschrift bezahlt durch den Leykam-Verlag, in dem alle seine Bücher erstmals als Fortsetzungsgeschichten abgedruckt wurden. Da der Heimgarten monatlich erschien, forderte dies den Vielschreiber zusätzlich. Ausgaben des Heimgartens sind heute gebunden erhältlich, wie auch Tagebücher Roseggers, die aufschlussreich wirken. Sein literarisches Schaffen ist für mich allerdings so gewaltig, dass ich wenig Lust verspüre, es auf sein (untadelhaftes) Leben herunterzubrechen. Ein großer Makel würde dem Dichter anhaften, der ihm angeblich den Literaturnobelpreis 1913 gekostet hätte. Zu einer Einweihung einer Heinrich Heine Statue irgendwo in Deutschland hätte Rosegger einen Lobgesang verfassen sollen. Er lehnte das ab, was man ihm als antisemitische Haltung interpretierte. Auch ich würde dem Modernisten Heine, der meiner Meinung nach wesentlich die Ästhetik der Moderne mitkreierte (und damit letztlich die modernen Konflikte mitheraufbeschwor), kein Loblied singen wollen – wenngleich er natürlich (vor allem während seiner Zeit als Romantiker) Beachtliches schrieb. Den Nobelpreis erhielt Rabindranath Tagore für Gitanjali: ach, wären alle Literaturnobelpreisträger derart große Seelen, wie Tagore. Rosegger wird vorgeworfen „konservativer Utopist“ zu sein. Nun, er hat wenigsten Utopien. Und diese sind nach 15o Jahren der Zerstörung und Verschmutzung der Umwelt und Mitwelt höchst bedeutsame. Seltsam zumal, dass er gar als reaktionär gilt, während nicht wenige der 68iger vom Leben auf dem Land schwärmten, Landkommunen gründeten, die menschenentwürdigende Stadt hinter sich zu bringen, und Autoren wie Gary Snyder, Jack Kerouac, Henry D. Thoreau, Alan Ginsberg, Hermann Hesse Würdigung als geistige Mentoren der Hippies zukam. Jegliche Bewegung, die den Wert der Natur anerkennt, an vorderster Stelle die Grünen, müsste Peter-Rosegger-Häuser einrichten, in denen Liebe zur Natur und Herzensbildung gelehrt wird.

Dass die Neue Rechte ihn zu vereinnahmen trachtet, was ja bereits in den unsäglichen Zeiten des Nationalsozialismus geschah, sollte uns umso mehr zur Wachsamkeit gemahnen. Überlässt ihn die hochnäsige und naseweise Literaturwelt den rechten Ideologen, wird seine kraftvolle, lebensnotwendige und zeitgemäße Literatur instrumentalisiert werden, um die Bedürfnisse der Menschen nach Schönheit, Natur, Einfachheit, Reinheit (im Sinne von Kraft, Licht und Echtheit – nicht von steriler und asexuellerer Reinlichkeit) für ihre finsteren Ziele zu missbrauchen.

Lesenswert als Ergänzung finde ich den Eintrag über ihn in Wikipedia. Dort widerfährt ihm Gerechtigkeit, was seine politischen Absichten betrifft. U.a. wird dargestellt, dass Rosegger von der deutschnationalen Presse als „Judenknecht“ beschimpft wurde. Ein faires sekundarliterarisches Werk liegt mit: „Man kommt sich vor wie in der Wüste“, vor, in dem Christian Teissl 2018, anlässlich des Hundersten Todesjahrs des Dichters, mit der Mär aufräumt, Rosegger hätte sich im ersten Weltkrieg als Scharfmacher betätigt. Auch weitere der fiesesten Vorurteile werden kundig ausgeräumt.

Rosegger vermag mittels seines Humors, seiner geistreichen Einfälle mit wenigen Sätzen einen Leser in die Erzählung hineinzuziehen. Jedes seiner Werke sprüht vor Witz und heiterer innerer Wärme. Die Schönheit Roseggers Sprache kann nicht geleugnet werden, weil er angeblich keine Lösungen für die Probleme der heutigen Zeit anzubieten hätte. Die hat die heutige Zeit ja auch nicht. Vielmehr wachsen in seinen Büchern Bäume, Gräser, Bergwiesen, Älpler so üppig, dass des Dichters Sprache vermag unser oftmals leeres Inneres zu erfüllen. Rossegers Werk ist Lebensmittel für die Seele. Nach Sinn, Schönheit und Natur dürstende Menschen finden darin die Kraft, sich den aktuellen akuten Nöten der Moderne zu stellen, und vielleicht gar manches zu lösen.

Wir leben in einer drolligen Zeit. Da behaupten Sekundärliteraten, wie müßig es sei, heute Poesie zu verfassen, da diese abgehoben und hehr daherkomme, aber erst der Dichter der Abgründe der menschlichen Seele könne so richtig die Tiefen des Menschseins begreifen. So sei endlich zeitgenössische Poesie am Zenit moderner Literatur angelangt (als hätte es Baudelaire nie gegeben, der selbiges von wegen Abgründen schon vor 15o Jahren vollbracht hat – der übrigens zu seiner Zeit völlig ignoriert wurde). Andere wollen an jeglicher Form ganzheitlicher Kunst den Gestank des fauligen Kellernazitums wittern; wieder andere meinen ein Buch von Peter Rosegger zu empfehlen wäre eine Qual, die man Freunden nicht antun dürfe.

Letzteres äußerte Marlene Streeruwitz in einer Beilage der Kleinen Zeitung zum Rosegger-Gedenkjahr (2o18), wobei das witzigste an der ganzen Sache ist, dass sie Peter-Rosegger Preisträgerin ist. Auch eine weitere honorige Preisträgerin empfiehlt den Namenspatron des eingeheimsten Preisgeldes besser nicht weiter, stattdessen ein sekundärliterarisches Werk über ihn. Nicht einmal „Erdsegen“ kann sie empfehlen. Sicher las sie das Buch nie. Sie würde über den warmen Humor, die Menschenliebe, den mitfühlenden Umgang mit den Protagonisten, die Selbstironie nur so staunen. Und endlich bedeutende Literatur zu lesen bekommen.

Marlene Streeruwitz wiederum schimpft den „Idylle verherrlichenden“ Dichter auch gleich einen Antisemiten. Was ich nicht begreif ist, warum sie den Peter Rosegger Preis angenommen hat. Verabscheue ich jemanden dermaßen, wie es in den wenigen kühlen Zeilen der Zeitgeistautorin herauskommt, lehne ich doch alles von ihm ab – jedenfalls einen Preis in seinem Namen. Nun, wir leben in einer ulkigen und verqueren Zeit. Die Menschen sind zerfressen von Selbsthass und Dauer-Zweifel: vielleicht erklärt dies das Paradoxon Streeruwitzischer Schizophrenie.

Wenigstens ahnt Alfred Kolleritsch die Ehrlichkeit in Roseggers Sprache. Eine „Lichtungen“-Autorin schmiert hingegen Elfriede Jelinek Honig ums Maul, die sie zur „echten, richtigen“ Literaturpreisträgerin erklärt.

Nun, für mich ist Jelinek das keinesfalls. Wie schon so oft von mir geschrieben (und immer wieder gern wiederholt), stellt für mich Jelinek den Typus eines Autors dar, der nicht Literatur als „Kafkas Axt“ verwendet, um „das gefrorene Meer in uns aufzuhacken“, sondern scharrend und kratzend den Schnee am Eis zusammenschiebt, um daraus ein Iglu zu bauen, in dem es sich ziemlich behaglich wohnen lässt (ist man selbst bloß unterkühlt genug).

Die Krux an solchen Schneewörtern ist, dass sie nicht rein und weiß auf den Wiesen liegen oder gewichtig und ehrlich die Äste der Bäume biegen, sondern wie so fast alles in der Großstadt, schmutzig und brachial den Zeitgeist mehr beschwören als bloßstellen. Im Hamsterrad zu rasen bringt nicht mehr an Erkenntnis, sondern wiederholt die larmoyante Litanei von der Trostlosigkeit des Daseins. Typisch modern halt – und 2oo Jahre alt, wie wir ja durch die Beschwerde Schlegels wissen. Den Mut sich den Abgründen wirklich zu stellen, haben die Modernen und Postmodernen selten. Sie projizieren lieber alles Schlechte in die Welt hinaus, finden in sich nicht den wunden Punkt – hier zu schürfen könnte heilen, dadurch das Schöne und Positive reaktivieren. Und dann könnten das Wundervolle sowie Wachstum die Welt verändern. Negativ-Kitsch Marke Jelinek und Streeruwitz (die beide auch ihre achtenswerten Seiten haben, denn ihr politisches Engagement ist wichtig), hilft der Welt nicht wirklich. Die immerwährende Hoffnungslosigkeit in der Sprache schuf einen Duktus der Destruktion, welcher als heute gültige Literatursprache nur die Formulierung des Hässlichen, Bösen, Niederträchtigen erlaubt; damit den Menschen präkonfiguriert – nach dem Motto: der Mensch ist voller Abgründe, Niedertracht und Bosheit. Ja – das kann er auch sein, aber er kann ebenfalls mitfühlend, liebend und ehrlich sein. Es liegt ein fataler Irrtum in der Annahme einer prinzipiellen Bösartigkeit der Menschen. Natürlich scheint der moderne Narzissmus und die Eitelkeit und Dummheit vieler den Skeptikern rechtzugeben.

Allein: Bis zu den Abgründen ist nicht tief genug. Unter den Abgründen, den Schichten aus Schutt, Torf, Plastik und dem Asphalt der Zivilisation liegen die Wurzeln. Erst einmal gilt es, eigenen Narzissmus aufzuarbeiten, um die Mechanismen wirklich zu durchschauen anstatt Betonblöcke in die Sätze zu gießen und Aluminiumsprache zu verbreiten. Und zweitens sind wir Autoren und Autorinnen schon selbst schuld an der Misere, wo in der Nachfolge der Aufklärung erst Gott, dann das Gute und Wahre, dann das Gute im Menschen und schließlich in der Postmoderne gleich der Mensch selbst abgeschafft wurde. Mittäter ist die Wissenschaft, die den Menschen zu einem seelenlosen funkenden Haufen aus elektrischen und neuronalen Impulsen zusammenschmolz.

Eines scheint sicher: Peter Rosegger würde heute den in seinem Namen gestifteten Preis nicht bekommen. Sowenig wie Christine Busta ihren, da zu schöne Metaphern und zu grüne Baumwörter in ihren Gedichten funkeln, während gegenwärtig nur 5o Schattierung von Grau erlaubt sind.

Warum glauben wir nicht an die schöne Hälfte der Wahrheit? An das Wundervolle, Verzückende, Beseligende? Lasst uns wenigstens ans Wunderbare glauben, es feiern und zelebrieren, es schreiben, beten und dichten – wenn dieses die Welt schon nicht erfüllt. Stellen wir Literaten und Dichter doch einen Gegenentwurf in die Welt. Einen der Schönheit, der Naturliebe, der Freude und Glückseligkeit. Verachten wir nicht die Welt, wie es die christliche Philosophie tat, welche das Heil im Jenseits suchte. Seien wir nicht die zeitgeistigen Vollstrecker einstiger freudloser Religion, indem wir die Welt weiter zum Jammertal erklären. Schaffen wir eine Bergsprache, eine Pflaumensprache – schreiben wir Granatapfelwörter, fabrizieren wir Granatsätze, tiefrot und mysteriös und klar und schön zugleich. Windsätze, Erdsegen, Wasserwörter, Bergwerke, Singsilben tun der Welt Not – nicht Grauschleier, Frankensteinwörter und Nebelhorn. Von den Machenschaften der Mächtigen zu warnen – ja: das soll hohe Aufgabe der Literatur sein (bleiben); bloß wer seiner Verhöhner las wirklich Peter Rosegger und erkennt im Verfasser von „Weltgift“ oder „Jakob der Letzte“ den Mahner und Propheten, der die Misere einer hochtechnisierten, die Natur und ihre Wesen zerstörende Welt vorausahnte? Und das im Versuch, nicht dem Leser den Schuttkübel des eigenen Weltschmerzes überzustülpen (was ihm den Ruf eines idealisierenden Romantikers einbrachte – von den Glasscherbenschreibern). Eine Ulli Olvedi ist für mich legitime Nachfolgerin Peter Roseggers, die ans Wertvolle, ans Suchende, an das Entwicklungswillige im Menschen appelliert, nicht an dessen allseits bekannte Fähigkeit zum Abgrund. Nach 2oo Jahren Moderne, nach zwei Weltkriegen seit ihrem Anbruch und einer Erde, die sich bald einmal der Menschen entledigen könnte, wenn wir unseren Technikglauben und Fortschrittswahn nicht endlich zähmen, wäre es höchst an der Zeit, Wolkenwörter, Waldsätze, Wildkatzen und Blumenbouquettexte der instrumentalisierten Welt mit ihrem Zeitgeist der Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit entgegenzuschreiben.

In: Manfred Stangl: „Ästhetik der Ganzheit“ edition sonne und mond 2o2o