Verfassungsschutz-Bericht 2021 über "Verschwörungs-Anhänger"

Ein kleiner Beitrag von ethos.at zur politischen Bildung

23. Februar 2023 - Anfang Februar 2023 ist der Verfassungsschutzbericht 2021 erschienen. Auffällig ist, dass der Begriff "Verschwörungstheorie" - im Unterschied zur Ausgabe 2020 - nicht mehr vor kommt. Die Rede ist nur noch von "Verschwörungserzählungen", "Verschwörungsmythen", "verschwörungsideologischen Deutungsmustern" und "Verschwörungsanhängern". Man darf daher davon ausgehen, dass die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) ethos.at liest, da hier mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass eine Verschwörungs-Theorie eine Theorie wie jede andere ist und somit legitimer Teil eines wissenschaftlichen Diskurses.

Die Verfassungsschutzberichte können auf dsn.gv.at als PDF heruntergeladen werden.

Hier Zitate, des Berichtes 2021, die auf "Verschwörungsanhänger" Bezug nehmen:

5.2 Antisemitismus in Zeiten der Pandemie

Sätze und Wörter wie „Der Holocaust hat nie stattgefunden“, „9/11 wurde von der US amerikanischen Regierung inszeniert“, „globale Eliten“ sowie die „Hochfinanz“ kontrollieren die Welt. Verschwörungserzählungen wie diese sind stets präsent und kommen vorwiegend dann zum Einsatz, wenn komplexe gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Umbrüche sowie gravierende Veränderungen für die Gesellschaft eintreten, beispielsweise kriegerische Konflikte, Naturkatastrophen, ökonomische Krisen oder Pandemien. Sogenannte Verschwörungsanhänger versuchen das Geschehene alternativ einzuordnen und liefern in der Regel leicht „verständliche“ Erklärungsansätze. Dabei werden multikausale Sachverhalte ausgeblendet und Zufälle ausgeschlossen. Zufälle werden als Teil eines „weltumspannenden Plans“ interpretiert, unter dem Motto: „Nichts passiere ohne Grund“. Dass die Bildung von Verschwörungsmythen und gezielter

Desinformation oftmals nahezu in Echtzeit mit Eintritt bedeutender Ereignisse erfolgen, ist darauf zurückzuführen, dass Fakten oder wissenschaftliche Erkenntnisse bewusst ausgeblendet oder antizipativ infrage gestellt werden. In rechtsextremen Szenen, Bewegungen und Gruppierungen sind Verschwörungserzählungen Teil der ideologischen Kommunikationsstrategie. Festzuhalten ist, dass diese „Theorien“ nicht ausschließlich nur von Vertreterinnen und Vertretern oder Aktivistinnen und Aktivisten des rechtsextremen Spektrums verwendet werden. Durch die Nutzung sozialer Medien finden diese zunehmend auch in nicht extremistischen Internet-Diskussionsforen und Online-Plattformen Einzug. Verschwörungserzählungen werden zu einem einfach verständlichen „Erklärungsmodell“ nach dem „Freund-Feind-Schema“, das „Ungereimtheiten“ in ein geschlossenes Weltbild einordnet, Feindbilder bedient und scheinbar attraktiver als die Realität erscheint.

5.2.1 Die Pandemie als Aktivierung antisemitistischer Erklärungsmodelle

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebten Österreich und große Teile der Welt keine derartig gravierenden Entwicklungen und Ereignisse wie in Zusammenhang mit der gegenwärtigen Corona-Pandemie. Millionen von Erkrankten und Toten weltweit, Gesundheitssysteme unter größten Belastungen, enorme wirtschaftliche Herausforderungen und massive Eingriffe in das Leben der Menschen stellen Politik, staatliche Institutionen und medizinische Einrichtungen vor beispiellose Herausforderungen. Die scheinbar „unsichtbare“ Bedrohung stellt mit den einhergehenden hochkomplexen Problemstellungen die perfekte Ausgangslage für die Entstehung und Verbreitung von Verschwörungsmythen dar.

Wie auch schon bei Epidemien beziehungsweise Pandemien in der Vergangenheit, zirkulierten bereits unmittelbar nach Bekanntwerden des Coronavirus antisemitische Verschwörungserzählungen. Von Beginn an wurde die Corona-Krise auch im Ideologiebereich des Rechtsextremismus national und international verstärkt instrumentalisiert.

In vielen konspirativen Modellen werden Szenarien entworfen, wonach mächtige „Strippenzieher“ oder die „zionistische Lobby“ die internationale Politik lenke und dabei auch biologische Waffen zur vermeintlichen Zielerreichung einsetze. Darüber hinaus werden Behauptungen aufgestellt, dass es das Ziel einer vermeintlich jüdischen Weltverschwörung sei, die Weltbevölkerung zu „versklaven“, bis hin zur gezielten „Dezimierung“. Ein bekanntes antisemitisches Narrativ, das in der Moderne stets einen zentralen Platz innehatte und nun reaktiviert wird, ist die Vorstellung einer „jüdischen Elite“, die sich auch diese Krise zunutze mache. Die Frage nach den „Gewinnern“ und den „Verantwortlichen“ wird von Extremistinnen oder Extremisten rasch beantwortet und propagiert.

Paradoxerweise sehen sich Teile der Corona-Maßnahmen-Gegner und/oder Corona-Leugner als „die neuen Juden“. Der Vergleich mit Holocaust-Opfern stellt eine grobe Verharmlosung des NS-Terrors dar. Die öffentliche Agitation wird für den eigenen „Opferstatus“ („Täter-Opfer-Umkehr“) genutzt und gleichzeitig die nationalsozialistische Vernichtungspolitik trivialisiert. Bei (Protest-)Kundgebungen werden z. B. gelbe „Judensterne“ mit der Aufschrift „Ungeimpft“ getragen oder Slogans wie „Impfen macht frei“, angelehnt an den Schriftzug, „Arbeit macht frei“ am Tor des NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, werden auf Pappschildern skandiert.

Insbesondere im Kontext des Corona-Diskurses sind die Inhalte in den sozialen Medien im Internet sowie in einschlägigen Publikationen vorwiegend durch Generalisierungen, das heißt die triviale Einteilung in „Gut und Böse“, geprägt. Grauzonen werden sukzessive ausgespart. Offizielle Stellungnahmen seitens etablierter Medien, der Wissenschaft und/oder staatlicher Institutionen werden als „unwahr“ deklariert und der vermeintlich „Schuldige“ ist bereits ausgemacht. „Endlich die Wahrheit zu sagen“, gehört zu bewusst provozierten Kampagnen, wie sie häufig von Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten geführt werden. „Alte Feindbilder“ werden bewusst an die aktuelle Situation angepasst und antisemitistische Stereotype tradiert. Beispielhaft kann hier die Dämonisierung exponierter Persönlichkeiten wie George Soros (in rechtsextremen Kreisen wie auch in Verschwörungserzählungen steht der Holocaustüberlebende, Investor und Philanthrop

sinnbildlich für den „allmächtigen Juden“, sein Name als „Code“ für „Macht“, „Geld“ und „Einfluss“ von außen) sowie die anhaltende Kritik an der österreichischen Bundesregierung und an „globalen Eliten“ angeführt werden. Letztgenannte seien nämlich die „wahren und eigentlichen Feinde“, welche die „Nationalstaaten und Völker zerstören wollen“.

Darüber hinaus wird mit Stichwörtern wie „Corona-Diktatur“ oder „Impfzwang“ gezielt auf gesellschaftlichen Vorurteilen aufgebaut. Vor diesem Hintergrund werden rechtsextreme Positionen kommunikativ anschlussfähig gemacht und für Protestmobilisierungen instrumentalisiert.

ENDE Zitate VSB

Kommentar ethos.at: Man darf gespannt sein, ob der Begriff "Corona-Leugner" im kommenden Verfassungsschutz-Bericht 2022 gestrichen wird. Immerhin hat ethos.at mehrfach darauf hingewiesen, dass "Corona-Leugner" nur im Rahmen eines Glaubenskrieges möglich ist, in dem eine Seite behauptet, im Besitze der "absoluten Corona-Wahrheit" zu sein. "Corona-Wahrheit" ist dann gleichbedeutend mit "Glaubenswahrheit" - und über solche Wahrheiten ist wissenschaftlicher Diskurs grundsätzlich nicht möglich.