Strolz Matthias: Warum wir Politikern nicht trauen

„Ich liebe Politik.“ Mit diesem Satz endet das Buch „Warum wir Politikern nicht trauen und was sie tun müss(t)en, damit sich das ändert“, das Matthias Strolz 2011 publiziert hat. Zwei Jahre später ist er als NEOS-Chef in den Nationalrat eingezogen. Die Politik war sein Lebensabschnittspartner, dem er 2018 wieder den Rücken gekehrt hat. Seine Familie war ihm wichtiger.

Im ersten Teil des Buches geht der Autor der Frage nach, welche Dynamiken die Glaubwürdigkeit zersetzen. Und im zweiten Teil verspricht er den „Aufbruch in eine neue Glaubwürdigkeit“. Seinen Aufbruch, denn das Buch kann durchaus als Programmschrift für seine kommende Tätigkeit als Politiker sein. Als Berater von Politikern war er vorher unter anderem sechs Jahre lang ein Potenzialträger-Programm für den ÖVP Wirtschaftsbund geleitet. Dabei hat er erlebt, dass die auf „Highlife-Dynamik“ getrimmten Teilnehmer über die Schattenseiten des Politikerdaseins wenig wissen (wollen).

Gegen Politiker-Bashing wendet sich der Berater, auch gegen das Vorurteil, die „Ochsentour“ einer Politikerkarriere sei anrüchig, denn oft müsse man viele Jahre ehrenamtlich tätig sein, bis sich die Türen zu einem bezahlten Politikerjob öffnen. Strolz geht noch einen Schritt weiter: „nichts unterscheidet die ‚Ochsentour‘ eines politikers qualitativ vom Karriereklettern eines Managers auf den verschiedenen Sprossen der firmeninternen Hierarchie.“ Dafür braucht man Frustrationstoleranz – der Berater findet dafür einen eleganteren Begriff: „Resilienz“. Dabei geht es um die Frage, wie man seine Widerstands- und Krisenfestigkeit steigert.

Zwei weitere Faktoren für die ideale Politiker-Persönlichkeit sind: „Identität: Wie handle ich im Einklang mit meinem eigenen Wesen und meinen Werten? Passion: Wie entwickle und halte ich meine Leidenschaft?“ Darüber hinaus brauchen Manager ebenso wie Politiker drei Führungsqualifikationen, und zwar „Systembewusstsein: Wie erkenne, nutze und gestalte ich Beziehungen und Kommunikation innerhalb und außerhalb unserer Organisation? Resonanzfähigkeit: Wie gelingt es mir, frühzeitig leise Signale zu hören? Ambiguitätstoleranz: Wie verhält sich unsere Organisation in widersprüchlichen, unsicheren und ergebnisoffenen Situationen?“

Strolz hat immer Politik mit Emotionen betrieben, die Begründung dafür findet sich in seinem Buch: „die Rationalisierung als prioritärer Weg der Daseinsbewältigung hat sich als Utopie erwiesen. ‚Alles, was im Gehirn keine Emotionen auslöst, ist für das Gehirn wert-, sinn- und bedeutungslos‘“, zitiert er den Politikberater Hans-Georg Häusel. Emotionen sollten die Politiker daher nicht den Populisten überlassen. Als Vorbild zitiert Strolz die Autorin Marie von Ebner-Eschenbach: „Wahre Liebe fordert nicht, wahre Liebe gibt. Sie ist eine Entgegenkommen, ein Geben, aber auch ein Annehmen. Wahre Liebe ergreift nicht Besitz, sondern gibt Freiheit.“ (S. 94)

Doch am Ende geht es in der Politik nicht um Emotionen, sondern um Macht. Wer nicht bereit oder gewillt ist, den Führungsanspruch zu stellen, sollte zuhause bleiben. Doch wer sich als junger Abgeordneter zu schnell profilieren will, fährt leicht an die Wand (wie auch Ex-ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner in seinen Erinnerungen nachdrücklich schildert).

Strolz meint dazu: „Der Klubzwang paralysiert das freie Mandat und offizielle Sprachregelungen überwuchern die persönlichen Überlegungen. Auch die spezifischen Rekrutierungsmechanismen der Parteien […] legen nahe, dass es die reife Persönlichkeit in der Politik nicht leicht hat.“

Die Parteien sind jedoch für eine Demokratie unersetzlich, meint Strolz. „Die Legitimation oder Notwendigkeit von Parteien in Frage zustellen […] halte ich für hochgradig naiv.“ Die Funktion der Parteien beschreibt er idealtypisch, vielleicht ein bisschen zu idealistisch: „Politische Organisationen, allen voran Parteien, sind soziale Integrationsveranstaltungen. Sie haben in unserem System einen ‚Bündelungsauftrag‘. Ihre Aufgabe in einer Demokratie ist es, Ideen, Überzeugungen und Werthaltungen zu formen und zu synchronisieren, auf dass politische Entscheidungen im Diskurs miteinander möglich werden.“

Parteiinterne Spannungsverhältnisse zwischen Visionen und Ausrichtung an Meinungsumfragen sind vorprogrammiert. „Tatsächlich öffnet das freie Mandat des individuellen Abgeordneten eine spannungsvolle Beziehung zur Vision der Gesamtpartei. Wie lassen sich die persönlichen Vorstellungen der einzelnen Abgeordneten und deren Verhalten mit der Linie der Gesamtpartei synchronisieren? Jeder, der einmal so eine Orchestrierungsaufgabe wahrzunehmen hatte […] wird anschließend Sympathie und Verständnis für das mitunter garstige Instrument des Klubzwangs haben.“

Die Relativierung des freien Mandats durch den Gründer einer liberalen Partei ist enttäuschend. Der Artikel 56 des Bundes-Verfassungsgesetzes (Absatz 1) ist eindeutug: „Die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden.“

Es war bislang nicht bekannt, bis zu welchem Grad die NEOS den Klubzwang im Nationalrat ausüben oder ausgeübt haben. Auf Anfrage antwortete Matthias Strolz (Mail vom 8.6.2020): „Die NEOS haben in ihrem Grundsatzprogramm das verfassungsrechtlich garantierte 'freie Mandat' nochmals als gemeinsames Bekenntnis hervorgehoben. Jeder Abgeordnete soll sich - gerade auch in seinen Interaktionen mit der Parteiführung und der Fraktionsführung im Parlament - nicht nur auf die Verfassung sondern auch auf die formulierten Grundüberzeugungen der Bewegung und Partei berufen können. Das freie Mandat wird daher von NEOS jederzeit hochgehalten. Natürlich ist es die Aufgabe eines/r Fraktionsführers/in einer Partei in einem Parlament, nach Möglichkeit gemeinsame Handlungs- und Entscheidungslinien zu orchestrieren. Das soll nie unter Zwang passieren, aber bedarf einem sehr hohen Aufwand an ‚Integrationsarbeit‘. Ohne gemeinsame Linien verliert eine Partei ihr Profil und ihre Wiedererkennbarkeit für Wähler/innen. Sie könnte ihre Aufgabe als ‚soziale Integrationsveranstaltung" und ihre "Kanalisierungsfunktion für politische Anliegen‘ nicht mehr wahrnehmen und würde mit hoher Sicherheit auch nicht mehr gewählt werden (‚Wofür denn genau?‘, würde sich ein/e Wähler/in fragen.). So haben wir es unter meiner Führung dann auch im Parlamentsalltag gelebt: Wir hatten einen hohen Grad an Gemeinsamkeit, aber im Vergleich zu den anderen Parlamentsparteien in Österreich auch das höchste Level an ‚Abweichungen von der Klublinie‘, wie es im Parlamentsjargon heißt. In absoluten Zahlen war das sehr überschaubar, aber intern gingen solchen Ereignissen freilich immer sehr intensive Debatten voraus. Ich denke, wir haben hier einen guten Weg gefunden, nachhaltige und sachorientierte Parlamentsarbeit ohne Klubzwang zu organisieren und für die Wähler/innen doch in hohem Grad *wiedererkennbar‘ zu sein.“

Matthias Strolz

Warum wir Politikern nicht trauen … und was sie tun müss(t)en, damit sich das ändert

K & S ISBN 978-3-218-00821-1, 2011

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